Cartagena (Kolumbien)

 

Sonntag, 21. Oktober

Um halb zehn geht’s los. Nach einem kleinen Fussmarsch vom Schiff über den Pier durchqueren wir raschen Schrittes den obligaten Gift Shop und spazieren durch einen kleinen hübschen Zoo: Pfaue, Papageien, Flamingos und Nasenbären.

Am Ende erwartet uns Willy, unser lokaler Führer mit Bus. Er ist dunkelhäutig und von untersetzter Gestalt, aber feurig und leidenschaftlich seiner Aufgabe ergeben. Er spricht ebenfalls ein interessantes Deutsch. Später erfahren wir, dass er in französisch, englisch und italienisch unterrichtet habe.

Erst fahren wir durch das Quartier, das zur Zeit seiner Entstehung eine begehrte Wohnlage gewesen sei. Tatsächlich, es handelt sich um ausnahmslos schöne Häuser, unterschiedlichster Baustile, die aber schon bessere Zeiten gesehen haben, wie vieles andere hier auch. Es fehlt auch in Cartagena am nötigen Geld (oder es wird anderweitig verwendet), die Infrastrukturen in Schuss zu halten.

Die Stadt habe sich als eine der schönsten Kolonialstädte Südamerikas behauptet. Cartagena ist die Stadt mit den meisten Touristen und nicht zuletzt wegen der geografischen Lage die sicherste und bestbewachte Stadt in Kolumbien. Der Literaturnobelpreisträger Gabriel García Márquez setzte Cartagena im Roman Die Liebe in den Zeiten der Cholera aus dem Jahre 1985 ein Denkmal. In Cartagena fand 1990 der Drogengipfel mit den Präsidenten KolumbiensPerusBoliviens und der USA statt, anlässlich dem Massnahmen gegen den Anbau von Coca Sträuchern und die Gewinnung von Kokain besprochen, aber nichts davon umgesetzt wurde.

Die erste Station führt uns zum Blickfang der Stadt: die imposante Festung namens Castillo de San Felipe de Barajas. Die Sonne muss sich sehr über unseren Besuch freuen, denn sie senkt ihre überaus intensiven Strahlen auf uns herab. Es ist schon um zehn Uhr unglaublich heiss.

Willy führt uns über die Rampe hinauf. Brigitte braucht dringend einen Sonnenschutz! Der (zufällig anwesende) Hutverkäufer freut sich darüber. Gut gemacht.

Willy schildert bei einem kurzen Halt in packenden Worten die Angriffe der Piraten und wie die Verteidiger sich durch verschiedenste, geheimnisvoll angelegte Schächte, Fenster und V-förmige Mauerwinkel mit mehreren Metern tiefen, glatten Wänden zu verteidigen wussten. Er mimt einen Piraten in Gefechtspose (gleich einem FARQ Guerillero). Die Hand am Abzug; ratatatata, macht sein imaginäres Maschinengewehr. Die Piraten hätten ihnen alles genommen, das Land und das Gold, klagt er. Die Piraten seien zum Glück weg, aber es seien wieder welche hinzugekommen: die Touristen. Niemand lacht. Er erläutert gleich noch in seiner eigenen Interpretation die Farben der kolumbianischen Flagge. Gelb für das Gold, blau für den Himmel und das Wasser, rot für die Erde (und das vergossene Blut!).

Oben angelangt, führt eine schmale Türe zur Zitadelle. Gleich nach dem Eingang ist der Gang abgewinkelt und in völligem Dunkel. Plötzlich zischt es aus einer Nische, der Besucher zuckt zusammen. Das war einer der speziellen Scherze, Marke Willy. So aber seien die Angreifer überrascht (Willy imitiert wieder einen Soldaten und das Maschinengewehrfeuer) worden. Man habe sie dann einige Meter weiter innen gleich durch den steil abfallenden Schacht nach draussen abgeworfen, wo sie unten an den Felsen aufgeschlagen hätten. Tot, aus. Willy trägt uns auch an dieser Stelle, wiederum in Wort und Gebärde, die Dramatik der historischen Ereignisse vor. Wieder am Tageslicht, geniessen wir auf der grossen Plattform einen weiten 360 Grad Rundblick auf die Stadt und das Hinterland. Man kann sich schwerlich vorstellen, wie die Festung damals einzunehmen gewesen wäre. Es macht den Anschein, dass wohl alle Eventualitäten einkalkuliert worden waren.

Als nächste Station bringt uns Willy in die Altstadt. In der Catedral de Santa Catalina de Alejandría wird eben der Sonntagsgottesdienst abgehalten. Es ist allerdings ein Kommen und Gehen, weniger von Gläubigen als von Touristen. Das stört aber niemanden.

Anschliessend besichtigen wir ein Museum, das kürzlich auch Papst Franziskus besucht habe. Es handelt sich um die ehemalige Wirkungsstätte des Jesuitenpriesters Pedro Claver, der sich für die menschenwürdige Behandlung der Sklaven und Armen eingesetzt haben soll. Sein Tun ist anhand einer Serie von Bildern illustriert. Willy kommentiert sie fachkundig und geradezu ehrfurchtsvoll. Zu sehen sind noch die Zimmer und das Sterbebett des inzwischen Selig Gesprochenen.

Berichtet wird auch über die verschiedenen Quartiere und wie sie sich unterscheiden bzw. unterschieden haben. Z.B. gibt es Häuser ohne Balkone, das sind diejenigen der Minderbemittelten. In der Zwischenzeit hätten einstige Nobelquartiere ihren Status an andere Quartiere verloren. Auch sei es noch nicht sehr lange her, dass die Rassentrennung in den Schulen und im öffentlichen Leben aufgehoben worden seien. Alle Menschen in Kolumbien seien heute gleichgestellt meint Willy stolz.

Wir sind eingeladen, ein Privathaus einer reichen Familie im Andalusischen Baustil von 1780 zu besichtigen (kann heute tage- und wochenweise gemietet werden, die Familie hat es an einen Investor verkauft) und erhalten daselbst eine willkommene, kühle Limonade. Vom Balkon aus beobachten wir die Passanten unten auf der Strasse. Verkäufer von Halsketten, Hüten, Tshirts, cohibas etc.

Der mit den Zigarren verfolgt mich bis zur Kirche und meint dann, er warte auf mich, was er denn auch tut. Später begegne ich ihm noch zweimal. Er lacht jedes Mal und bietet mir die Dinger unentwegt mit Überzeugung und Hartnäckigkeit an, am Ende noch zum halben Preis, auch diesmal ohne Erfolg. Die können bei diesem Preis nicht wirklich echt gewesen sein.

Jetzt dürfen wir uns noch für eine Stunde frei bewegen. In einem grossen Geschäft mit unübersichtlichem Warenangebot bekomme ich endlich die gesuchten Briefmarken für die Postkarten. Ein Ladenangestellter hilft mir beim Aufkleben und deutet dann auf einen kleinen blauen Holzkasten, gleich am Eingang; ähnlich einem Vogelhäuschen. Das ist der Briefkasten. Er ist schon gestossen voll. Das Ladenpersonal lacht, als sie mich stopfen sehen. Hoffentlich gehen die Karten morgen auf die Reise. Neun (9) Monate später: Die Ansichtskarten treffen fast auf den Tag genau an ihren Bestimmungsorten ein.

Wir schlendern noch durch die Gasse bis zu einem grossen Platz, auf dem rechterhand unter den Arkaden Stand für Stand Süssigkeiten angeboten werden. Weiter vorne dann ist ein ebenso beeindruckendes Gebäude mit der Flagge von Cartagena geschmückt. Möglicherweise das Rathaus. Schon gerät die Kathedrale wieder ins Blickfeld, obwohl uns noch Zeit bis zum Treffen zur Verfügung steht. Der Blitz und Donner vor einer halben Stunde war offenbar eine von uns nicht allzu ernst genommene Warnung. Die ersten Tropfen fallen jetzt und bis wir beim wartenden Bus sind ist der Regen auch schon da. Schade, wir hätten gerne noch länger in dieser schönen Stadt verweilen mögen.

Vor dem kleinen Zoo angekommen, bemüht sich Willy um die Erlaubnis, uns mit dem Bus bis zum Schiff bringen zu dürfen, denn jetzt giesst es wie aus Kübeln. No, geht nicht. Da können wir uns auf dem Weg von ca. 500 m zum Schiff auf etwas gefasst machen. Nach Besichtigung des Taxfreeshops hat der Regen stark nachgelassen. Trotzdem nehmen wir den Shuttlebus zum Schiff und mit trockenen Kleidern setzen wir uns zum Mittagessen auf das Achterdeck.

Brigitte begegnet zufällig unserem Kellner vom Abendessen. Er soll ausser sich vor Freude gewesen sein und hofft sehr, uns heute Abend wieder an seinem Tisch begrüssen zu dürfen. Merke: das VIP-feeling ist zurück.

Weil unsere Reise sich langsam dem Ende zuneigt, setzt die Phase der Trinkgeldverteilung ein. Bei der Überprüfung unserer Barschaft zwecks Wechsel von grossen in kleine Noten, fehlt die letzte 100$ Note. Das Portemonnaie lag natürlich nicht im Safe, sondern in der Reisetasche! Alles Überlegen, wo und wie wir allenfalls die Noten hätten verwechseln können, z.B. beim Abgeben von Trinkgeldern, führen zu nichts. Eine mögliche Erklärung wäre, die Note hat unserem Zimmerjungen zu sehr gefallen. Zum Vorfall könnte passen, dass Andrii sich die letzten zwei Tagen nirgends blicken liess. Sonst stand er immer irgendwo im Gang und grüsste uns schon von weitem.