Puerto Quezal / Antigua (Guatemala)

 

Montag, 15. Oktober

Der Shuttle, ein gewaltiges Gefährt bringt uns zum Busparkplatz. Vorbei an einem langgezogenen riesigen Kohleberg, an Gestrüpp und Eukalyptus. Die kurze Wartezeit auf den Bus nach Antigua wird heftig genutzt, die kleine Ansammlung von Souvenirständen nach Gefälligem zu durchforsten. Im Angebot findet sich die stets unüberschaubare Vielzahl von einheimischen Waren. Bunte Tücher, Taschen, Hemden, Lederwaren und bedruckte T-Shirts. Die Versuchung ist gross: eine orangerote Bluse mit gestickten Blumenornamenten und ein grünes T-Shirt mit Aufschrift Guatemala wechseln die Hand. Wo die Kundin (sie ist der Leserin, dem Leser bereits bekannt)  – beim Versuch, den hartnäckigen Händler endgültig abzuwehren –  eben noch sagte, sie hätte kein Geld bei sich, liefert dem Verkäufer kommentarlos für beides sage und schreibe 25$ in die Ladenkasse.

Unser Bus mit Viola, unserer «Local» für heute, ist angekommen.
Es geht 1 1/2 h nach Norden, nach Antigua, der ehemaligen Hauptstadt von Guatemala. Viola berichtet davon und noch von vielem mehr. Wie z.B. über die kulturhistorischen Hintergründe bis zurück zu den Habsburgern, was sie uns anhand von Malereien an einem Dachunterzug in Antigua beweisen kann.

In der Ferne sehen wir schon nach kurzer Fahrt den riesigen Volcán de Agua. Wo auch immer man in der weiteren Umgebung von Antigua herumläuft. Er überragt alles mit seinen über 4000 m.ü.M. und dominiert mit seiner perfekten Kegelform. Er ist der höchste Berg Guatemalas. Die von ihm ausgelösten Erdbeben und Eruptionen zerstörten Antigua in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder. Viola führt uns auch in die Erdgeschichte ein und erläutert, wie das schon alle Locals vor ihr getan haben, das Problem mit den sich im zirkumpazifischen Ring überschiebenden Plattenformationen.

Im Osten sehen wir den kleineren Fuego, der eben begonnen habe, aktiv zu werden. Links und rechts der Autobahn nach Guatemala City breiten sich bis zum Horizont Zuckerohrfelder aus. Die Kubakrise und das anschliessende Handelsembargo der USA hätten sich als glückliche Fügung für das Land erwiesen. Dieses begann nun die grossen Ebenen mit Zuckerrohr zu bepflanzen und das gewinnbringend. Guatemala sei inzwischen zu einem der wichtigsten Zuckerlieferanten für die USA geworden.

Etwa zur Hälfte der Distanz zweigen wir von der Autobahn links ab Richtung Antigua. Wir gelangen jetzt in hügeliges Gebiet und zugleich in die unmittelbare und bedrohliche Nähe des Vulkans. Gar mächtig steht er da!

Vom Zuckerrohr gelangen wir nun zum Kaffee, ebenfalls ein wichtiges Exportgut des Landes. Er soll der Beste überhaupt sein! Es handle sich um die Sorte Arabica, die vorzugsweise im Halbschatten hervorragend gedeihe. Tatsächlich, nicht zu übersehen sind die endlosen Flächen, angelegt an den Hängen und in den Talsohlen, bestanden mit Bäumen und darunter die brusthohen Kaffeestauden mit ihren dunkelgrünen, glänzenden Blättern.

Da und dort passieren wir Fincas, riesige Gutshauskomplexe oder kleine Siedlungen. Besonders diese machen einen betroffen ob deren Ärmlichkeit. Notdürftig aus verschiedensten Materialien gezimmerte Unterkünfte, fensterlos, mit Plastikplanen geflickt, Feuerstellen im Freien und die Zugangswege im Schlamm. Hier regnet es in der Regenzeit jeden Tag mindestens ein Mal, oft nur kurz, oft auch anhaltend.

Die Weiterfahrt gerät ins Stocken. Am Strassenrand warnt eine Tafel vor Erdbeben. Weiter vorne dann die Verheerungen, die eben erst im Juni eingetreten sind. Hohe Erdwälle, Schrunde, geknickte und versengte Bäume säumen die Strasse auf hunderten von Metern. Arbeiter richten die Strasse in diesem grossen Durcheinander wieder einigermassen her.
Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt öffnet sich vor uns eine weite Talsenke und gibt den Blick frei auf eine grössere Ansammlung von Häusern. Antigua.
Die Sonne bricht hervor und bringt in der schmalen, unebenen Zufahrtsstrasse, wo die grössten Fahrzeuge vorsichtig aneinander vorüberbalancieren müssen, die intensiven Farben der Hausfassaden zum Leuchten.

Der Bus hält in respektvollem Abstand zur grössten Kirche am Ort. Sie wurde, wie viele Prunkgebäude hier, zur Zeit der spanischen Landnahme im Barockstil erbaut. In gelb sind die Wände und weiss die Einfassungen und Verzierungen der Fassade gehalten. Viola erläutert deren Bedeutung und Entstehungsgeschichte. Derweil werden vor allem unsere Damen von einer Schar bunt gekleideter Frauen und Männern belagert. Sie bieten ihnen ihre Schätze in Form von Schals und Tüchern, teilweise hübsch bestickt, Halsketten, Armbänder und vieles mehr zu interessanten Preisen an. Z.B. 30$ für einen zugegebenermassen sehr schönen Schal. Am Ende wird man sich bei der Hälfte oder sogar weniger einig.
Leider ist die Kirche geschlossen. Auf grobem Kopfsteinpflaster – aus vulkanischem Gestein – spazieren wir zur zweiten der drei Kirchen auf unserem Besuchsplan.

Unterwegs weist uns Viola unentwegt auf die verschiedensten Sehenswürdigkeiten und die geschichtlichen Zusammenhänge hin, fast so, als befänden wir uns (als Kunst- oder sonstige Historiker) auf einer kulturhistorischen Rundreise durch Zentralamerika. Etwas beschämt muss ich erkennen, dass meine Sinne nur ungenügend auf die Verarbeitung dieser unaufhörlichen Sturzwellen an Informationen vorbereitet bzw. geschärft sind und dass sie deshalb deren Wert nur unzureichend würdigen und schon gar nicht zu memorieren vermögen. Mit anderen Worten: die meisten von ihnen gehen zum einen Ohr hinein und zum anderen leider wieder hinaus.
20 min. werden uns für einen Blick in eine grosse Halle zugestanden. Sie bietet alles, was aus heimischer Produktion zu haben ist, vom Taschentuch über den Poncho bis zum eisernen Keramikfrosch als Gartendekoration. Hier kaufen wir ein Säcklein vom besten Kaffe für unsere Nachbarin.

Von der zweiten Kirche ist noch die Fassade mit verblassten Inschriften und den in die Wand eingelassenen Heiligenstatuen, deren Köpfe in den unteren Etage abgeschlagen sind, übrig. Hinter der Fassade ein Haufen Schutt. Was würde Ignaz von Loyola, der diese Kirche im 16. Jahrhundert gegründet hatte, heute wohl dazu sagen? Gut, bietet sich daneben das perfekt vom Staat renovierte, ehemalige Kloster zur Besichtigung an. Es steht unter der Leitung des Bildungsministeriums und erweist sich in seiner Mischung aus Historie und zeitgenössischer Infrastruktur als sehr sehenswert. Da plätschert in der Mitte eines Kreuzganges ein Springbrunnen, eingefasst von einer kleinen Rasenfläche. Im ersten Stock befindet sich ebenfalls ein Kreuzgang, wo Exponate aus der Zeit der Eroberung und dem Bau der Stadt zu sehen sind. Die Stadt hat sich aus einem kleinen Dorf in ein streng rechtwinklig geordnetes, grosses Gemeinwesen entwickelt. Der Sinn dieser Anordnung lag darin, allen Bewohnern identische Platzverhältnisse zu gewähren und damit jeglichen Streitereien vorzubeugen. Mit dem Bau zahlreicher Kirchen, bewusst alle auf dem gesamten Stadtgebiet verstreut, beabsichtigte die Stadtverwaltung – als weitere Beruhigungsmassnahme – auch dem Seelenheil und dem erwünschten Seelenfrieden Raum zu geben.

Unser weiterer Rundgang, die Frauen mit ihren Tüchern im Schlepptau, führt uns ins Zentrum, zur Plaza Mayor. Überstanden wird sie mit hohen Bäumen, bepflanzt mit Blumenrabatten (Olivias) und versehen mit zahllosen Ruhebänken, die allesamt inanspruch genommen sind. Ja, es geht gegen Mittag zu, viele Menschen geniessen die Ruhepause. In der Mitte ein grosser, mehrstufiger Springbrunnen. Vom Platz aus gesehen nördlich, befindet sich das Rathaus mit der vornehmen, steinernen Arkade, im Osten die gewaltige Kathedrale, im Süden die Universität und im Westen die Verkaufsläden und Restaurants. Wer will, geht mit Viola auf einen kurzen Rundgang zur Kirche und zur Universität. Die Zurückbleibenden suchen Ruhe und Erholung auf den Bänken. Fehlanzeige! Sie müssen rasch erkennen, dass daraus nichts wird. Sie werden jetzt umso heftiger von den vielen Frauen belagert, die sich in unterschiedlicher Weise um Verkaufsabschlüsse bemühen. Mit Erfolg, übrigens, wie sich später herausstellen sollte.

Die Kathedrale, im Innern eher unscheinbar, mit einer im Glassarg aufgebahrten Jesusfigur und einer eindrücklichen Kreuzigungsdarstellung. Wir verlassen sie durch einen Seitenausgang und stehen auf einer prächtigen Plattform mit Blick auf die weissgetünchten Mauern der Universität und das Eingangstor auf der einen Seite und auf den Friedhof, durch ein Tor abgegrenzt, auf der andern Seite. Viola tut ihr Bestes.

Jetzt werden wir für eine halbe Stunde freigelassen und dürfen die nähere Umgebung auf eigene Faust erkunden. Auf der Seite der Verkaufsläden betritt man durch einen langen Gang einen grossen, gedeckten  Markt, in dem das gesamte Spektrum des täglichen Bedarfs an Tüchern und Utensilien angeboten werden. Die Verkäuferinnen weisen nach dem obligaten freundlichen «ola» aber unmissverständlich auf ihre wohlfeilen Waren hin. Wieder draussen streift man an den Bars und kleinen Restaurants vorüber. Alles wirkt auf den Fremden wie mich exotisch.

Das Rathaus darf man ohne Kontrolle betreten. Die Büros, einfache und spartanisch eingerichtete Räume, sind Ziel vieler ratsuchender Menschen. Vor den Büros warten sie, bis sie vorgelassen werden. Dann stehen sie neben dem Schreibtisch des Beamten, der vor einem Bildschirm sitzt und tragen ihm ihre Anliegen vor. Im hinteren Teil, unter offenem Himmel, von wo es in weiter Gebäudeteile geht, unterhalten sich Angestellte, die keine Notiz von den Fremdlingen nehmen. Alles Tun spielt sich in aller Ruhe ab.

Um 12 ist Treffpunkt beim Brunnen. Die TeilnehmerInnen der Reisegruppe verhalten sich wie immer uneingeschränkt vorbildlich. Stets halten sie sich an die Anweisungen und sie alle sind ausnahmslos pünktlich.
Wir spazieren zum Restaurant. Das Essen findet in einen unüberblickbar grossen Garten mit z.T. hohen Sträuchern statt. Hier sind kleine Terrassen in unregelmässigen Abständen angelegt, auf denen jeweils zwei bis drei Tische etwas verborgen platziert sind. Wir sitzen an einem grossen Tisch auf einer offenen Terrasse. Eben werden in den letzten Einkäufen von der Plaza Mayor gekramt. Man tauscht sich amüsiert über die  Tricks aus, die zu den vermeintlichen Verhandlungserfolgen geführt haben. Andere checken derweil ihre Mails.
Dann das Essen: eine Art Gulasch in kräftiger dunkler Sauce. Schmeckt ausgezeichnet!
Nach kurzer Rast heisst es ab zum Bus. Über das Kopfsteinpflaster, vorbei an winzigen Geschäftslokalen, von aussen kaum zu erkennen. Grosse Firmentafeln gibt es hier nicht, aber trotzdem alles zu kaufen. Von der Seife über den Fahrradreifen bis zu Möbeln.

Der Bus nimmt dieselbe Route, wie bei am Morgen. Es beginnt zu regnen. Nach ca. einer halben Stunde plötzlich Halt. Polizei. Die Durchfahrt durch das vom Erdbeben versehrte Gebiet sei vom Regen verschüttet. Kein Durchkommen möglich. Der Chauffeur wendet und dann geht es ziemlich à la Speedy Gonzales via Guatemala City – wir erleben an der Tangente der Stadt ein veritables guatemaltekisches Verkehrschaos – nach Süden. Wir fliegen dahin und erreichen das Schiff noch mit einer guten Zeitreserve.

Auf dem Schiff erwartet uns das übliche Prozedere: der Bildcheck (Vergleich der leibhaftigen Person mit dem Bild auf dem Computerbildschirm) und das Scanning der Rucksäcke und Handtaschen. Und natürlich unsere Kabine und das abendliche Ritual mit Abendessen und anschliessendem Deckspaziergang.